Brasilien im Rampenlicht der COP27 und der Lula-Faktor

Kommentar

Als eine seiner ersten Entscheidungen nach der Präsidentschaftswahl nahm Lula da Silva die Einladung zur Klimakonferenz COP27 in Ägypten an. Obwohl er noch nicht im Amt ist, weckt seine Teilnahme enorme Erwartungen, sowohl in Brasilien als auch im Rest der Welt. Sie kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt für den Planeten, an dem drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit wir den sogenannten point of no return nicht überschreiten. Sonst werden die durch globale Erwärmung und Umweltzerstörung verursachten Folgen unumkehrbar.

Lula da Silva hält eine Rede
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In Lula da Silva werden große Hoffnungen gesetzt.

In Brasilien wird von der künftigen Regierung Lula da Silva ein deutliches Zeichen für den Umweltschutz erwartet, das sich deutlich von der Position der aktuellen Bolsonaro-Regierung unterscheidet. Umweltschützer*innen und die internationale Gemeinschaft kritisierten in den letzten vier Jahren den Abbau der Umweltgesetze sowie die hohen Abholzungsraten während Bolsonaros Amtszeit. Der Vorstoß des damaligen Umweltministeriums, auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie die Herde durch den Regenwald (zu) treiben im Jahr 2020, wurde zum Symbol der umweltfeindlichen Handlungsweise der brasilianischen Regierung.

Im Gegensatz zur scheidenden Regierung Brasiliens machte Lula da Silva aus dem Umweltthema schon im Wahlkampf eine Priorität. Seine Allianz mit Marina Silva, ehemalige Umweltministerin, verleiht der Aussage, dass 2023 ein Jahr des Wiederaufbaus der Umweltgesetze sein wird, Substanz. Es wird erwartet, dass Lula als einer seiner ersten Amtshandlungen eine ganze Reihe von Maßnahmen im Umweltbereich der Vorgängerregierung rückgängig macht. Darunter zählen – so Lulas Verbündete – Bolsonaros Erlasse [decretos], welche die Beteiligung der Zivilgesellschaft im Nationalen Umweltrat (Conama) einschränkten oder Umweltstrafen im Wert von mehr als 16 Milliarden brasilianischen Reais aufhoben.

Die brasilianischen zivilgesellschaftlichen Organisationen pochen darauf, dass die neue brasilianische Regierung schnellstmöglich und energisch den Wiederaufbau sowie die Neugestaltung der Umwelt- und Klimagesetzgebung angeht und alle Maßnahmen, die dem Schutz entgegenstehen, abschafft. Dazu wäre insgesamt die Aufhebung oder Überarbeitung von 401 Gesetzen der Bundesexekutive (von 2019 bis 2022) erforderlich. Darüber hinaus sollen Dialogräume mit der Zivilgesellschaft zur gemeinsamen und konstruktiven Entscheidungsfindung wiedereingeführt werden. Die Vielzahl an Gruppen und Akteuren soll gehört werden können.

Brasilien zurück auf der internationalen Bühne

Die COP27 ist für Lula eine großartige Gelegenheit, sich schon vor seinem Amtsantritt der Welt auf internationaler Ebene erneut vorzustellen. Denn Lula ist bekannt für seine Artikulationsfähigkeit und seine Hauptrolle zu Beginn der 2000er Jahre etwa bei der Gründung der G20, der Welthandelsorganisation (WTO) oder der BRICS. Der Kontext ist 20 Jahre später zwar ein anderer, doch die Hoffnung ist groß, dass Brasilien erneut eine wichtige Rolle in der Umweltdebatte spielt. Voraussetzung dafür sind wirksame Maßnahmen der neuen Regierung unter Lula zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C.

Erste Auswirkungen von Lulas Sieg auf die internationale Umweltpolitik sind bereits in Ansätzen zu erkennen: Die Regierungen Norwegens und Deutschlands haben signalisiert, ihre Investitionen in den Amazonienfonds wieder aufzunehmen. Der Fonds wurde aufgrund der rückständigen Politik Bolsonaros beim Bekämpfen der Entwaldung sowie beim Schutz der Umwelt [im August 2019]  eingefroren. Bolsonaro hatte unter anderem den Verwaltungsausschuss des Fonds ausgesetzt.

Allianzen auf allen Ebenen

Brasilien könnte unter Lula eine strategische Allianz mit den wichtigsten Tropenwaldländern eingehen, eine Art OPEC für Tropenwälder. Die Allianz mit Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo, die zusammen mit Brasilien über 52% der verbleibenden Tropenwälder der Welt verfügen, könnte wichtige, gemeinsame Vorschlägen erarbeiten und zu Maßnahmen im Bereich der Finanzierung und des CO2-Marktes beitragen. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass diese Allianz die Finanzialisierung der Natur verstärken könnte. Dieser Prozess würde den Planeten daran hindern, echte Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zu ergreifen. Davor warnt z. B. die Gruppe Carta de Belém.

Weiterhin  besteht  die Möglichkeit, einen Amazonas-Block gegen die Entwaldung einzurichten. Kolumbiens Umweltministerin Susana Muhamad hat ankündigt, einen Vorschlag zur Schaffung dieses Blocks zur Zusammenarbeit zwischen den Ländern zur Rettung des Amazonas-Bioms vorzulegen. Es ist wichtig, dass Lula da Silva gemeinsam mit der Delegation der Gouverneure Amazoniens zur COP reist. Diese Gruppe vertritt eigene Interesse – neben der offiziellen, brasilianischen Regierungsdelegation – und bespielt eigene Formate und Räume während der COPs.

Eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen und Umweltbewegungen hat die neue brasilianische Regierung bereits aufgefordert, die COP30 im Jahr 2025 in Brasilien auszurichten. Das wäre ein frühes Zeichen für Brasiliens neuen Protagonismus bei Umweltthemen. Doch trotz der Symbolkraft der Ausrichtung der COP30 – in Erinnerung an die Ausrichtung der Rio92 und Rio+20 – wäre Brasilien gut beraten, noch etwas abzuwarten mit dieser Ankündigung. Auf nationaler Ebene, sollten zunächst Maßnahmen zum Wiederaufbau der öffentlichen Sozial-und Umweltpolitik umgesetzt werden. Ob dann der Haushalt die Ausrichtung einer solchen Großveranstaltung zulässt, muss geprüft werden. Das Land befindet sich momentan nicht nur in einer Finanzkrise sondern muss auch noch Beiträge an internationale Organisationen, wie die FAO, zahlen. Sonst droht hier der Entzug des Stimmrechts.

Brasilien steht bei dieser Klimakonferenz im Mittelpunkt. Das hängt vor allem mit der Teilnahme von Lula da Silva, Marina Silva, Simone Tebet und weiterer brasilianischer Delegationen zusammen, die mit führenden Politiker*innen aus aller Welt zusammen kommen. Die Debatten, die in dieser und der nächsten Woche in Ägypten geführt werden, sind von grundlegender Bedeutung für die Ausrichtung der brasilianischen Umweltpolitik der nächsten vier Jahre.


Übersetzung und Redigatur: Julia Ziesche und Mareike Bödefeld

Der Originalbeitrag auf Portugiesisch erschien bereits am 8. November 2022.